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BLOG vom: 22.09.2022

Schweizergarde - ein politischer Trumpf für das Land

Autor: Pirmin Meier, Historiker und Schriftsteller, Aesch/LU

 

Historiker Pirmin Meier, als Verfassungsrat im Aargau vor 45 Jahren Antragssteller «Trennung Kirche u. Staat», studierte über Jahre Akten über schwarzberockte Pädo-Sünder und Zölibats-Betrüger. Zu einem bischöflichen Archiv erhielt er 2mal keinen Zutritt. Bei der Abstimmung betr. Schweizergarde sieht er trotzdem keinen Grund für «Denkzettel».

Zu den Geheimnissen der direkten Demokratie gehört es, dass Projekte für 100 Millionen und mehr, auch was Milliarden kostet, oft diskussionslos durchgewinkt werden. Andererseits konnten einst 2000 Franken (1985) für einen Gedichtband (mit einer dreckigen blasphemischen Bemerkung über Jesus Christus) einen Skandal auslösen. Der damaligen Luzerner Literaturförderung ging es beinahe an den Kragen. Was mit Religion und Kirche zu tun hat, berührte schon zu Zeiten des Kulturkampfes die Emotionen massiv. Einen halben bis ganzen «Kulturkampf» gibt’s auch um Gender-Toiletten und dergleichen. Darüber wird aber nicht abgestimmt. Ihre Einrichtung an den Schulen und Hochschulen der Schweiz dürfte das Mehrfache der 400 000 Franken «Solidaritätsbeitrag» für die Kaserne der Schweizergarde ausmachen. Das mit dem ordnungspolitischen «Sündenfall» (Grünliberale) ist im Vergleich zu den gewaltig anwachsenden Staatskompetenzen betr. «Klimaschutz» Symbolpolitik. Aber auch dies hatte einst mit Religion zu tun. Es gab Wallfahrten in Uri und Wallis gegen Gletscher-Ausdehnung. Auf Unwetterkatastrophen und Pandemien wurde in der Zentralschweiz (Obwalden 1629) mit Hexenprozessen reagiert. Unter Druck ergreifen Regierungen diejenigen Massnahmen, die ihnen zur Verfügung stehen. Das war und ist Politik.

Kommen wir zurück auf die Schweizergarde. Von der historischen Tradition erinnert sie an das Löwendenkmal in Erinnerung an die gefallenen Schützer des Königs von Frankreich. Von Kulturkämpfern und Pazifisten u. Pazifistinnen auch schon als Schandmal des Verkaufs einheimischer Söhne für Mord und Totschlag auf dem Schlachtfeld bezeichnet. Dass indes die Vermessungstechnik, das Strassenbauwesen im Kanton Luzern, meteorologisches und technisches Wissen notabene auch ein Stück Globalisierung und internationale Beziehungen mit diesen Geschichten zusammenhingen, wurde mir bei Forschungen über die verschiedenen Familien Pfyffer, auch den Landesvermesser Micheli du Crest klar. Ich bin wohl nebst meinem Kollegen Angelo Garovi, Alt Staatsarchivar Obwalden, fast der einzige, der sich mit den Einflüssen der Solddienste auf die Entwicklung der Demokratie in der Schweiz befasst hat. Was man kennt, sind die u.a. in Schwyz und Sarnen aufbewahrten «Julius-Panner»: Schmuckstücke für die Museen.  Aber deswegen wäre ein Ulrich Zwingli gewiss nicht nach Italien ins Feld gezogen. Über seine einst guten Gründe hat er nach der Schlacht bei Marignano (1515) geschwiegen. Ab dann war er als Reformator der Stadtkantone gegen diese Kriegsdienste.

Vor mir liegt des Rätsels Lösung: die päpstliche Bulle vom 8. Januar 1509. Keine Rede von Menschenhandel oder Blutgeld. Umso mehr von politischen Vorteilen, die sich die Eidgenossen für sich selber vom Papst für ihre Dienste erhofften. So wollten sie, wofür schon Hauptmann Klaus von Flüe 1457 engagiert war, keine ihnen nicht passenden Pfarrer! Das heisst: diese selber wählen. Man nannte es  «Präsentieren», weil der Bischof eigentlich das letzte Wort hatte. Erfüllte er aber ihren Willen nicht, waren er oder seine Vertreter, wie ich aus der Bruderklausforschung erkundert habe, seines Lebens nicht mehr sicher!

Mit höchstem Missvergnügen, nur ganz ausnahmsweise und ohne Anerkennung, dass es «dieses von euch behauptete Recht» gäbe, wurde von Papst Julius II. «auf Zusehen hin», an jenem 9. Januar 1509 das faktische Recht der Pfarrwahl bewilligt. Natürlich mit den stillschweigend erwarteten Gegenleistungen auf dem Feld. In Glarus wurde Zwingli schon von der Gemeinde gewählt; der Papst hatte den «vorauseilenden Gehorsam» zu bestätigen.

Zurück zu Schweizergarde und Luzern: Kein Kanton hat mehr Kommandanten gestellt, u.a. den Vater des grossen liberalen Politikers Kasimir Pfyffer. Der bedeutendste Gardekommandant war aber Oberst Nünlist. Er führte die Garde von 1957 bis 1972. Zur Zeit von Papst Paul VI., der diverse Garden abschaffte, bestätigte er sich als deren Retter. Wie später auf den Beromünsterer Alois Estermann wurde auch schon mal auf ihn geschossen, doch überlebte er das Attentat. Nünlist gilt als Pionier für die Schweizer Neutralität. Bei der Gründung der Nato 1949 war er Schweizer Militärattaché. Seine Doktorarbeit über «Das Recht der Einmischung» (1937) gilt als Pionierleistung. Noch beeindruckend sind die Erinnerungen meines einstigen Parteifreundes in der CVP, Pius Segmüller, «Verwandlung». Er kommandierte die Garde von 1998 bis 2002. Selber lehnte ich das Ersuchen eines deutschen Verlages ab, über den ermordeten Alois Estermann (Beromünster) ein Buch zu schreiben. Wie schon zweimal in Chur, wegen Priester-Verfehlungen, wäre es für mich im Vatikan erst recht unmöglich gewesen, Sperrfristen zu unterlaufen.

Die 400 000 Franken, ungefähre Kosten für eine längerfristig in der Schweiz anwesende Flüchtlingsfamilie ohne Perspektive auf Beschäftigung, wären auch deshalb angebracht, weil mit diesem Symbolbatzen allfällige Wünsche der Schweizergardisten von ihrer Heimbasis aus besser unterstützt werden könnten, Wer dagegen stimmt, sollte zugeben, dass er es aus emotionalen Gründen tut. Eine Medaille an Olympischen Spielen kostet die Schweizer Sporthilfe im Durchschnitt weit mehr. Wer wegen Missbrauchsfällen in der Kirche oder anderen «Gründen» Nein stimmen will, mag sich bei mir über Hintergründe erkunden, die nun mal mit der 500jährigen Gardetradition direkt nichts zu tun haben.

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